Ist es Neugierde, der Wunsch einen Beitrag zu leisten oder schlicht das Bedürfnis, sich Herausforderungen zu stellen? Jedenfalls ist dieser Artikel mein Beitrag zur Blogparade, die im intrinsify.me Blog im Artikel Organisationsentwicklung: Wie lassen sich Organisationen wirksam irritieren? von Mark Poppenborg ausgerufen wurde. Dessen erster Teil Change Management: Wie man ein Unternehmen erfolgreich verändert hiermit „prozessgetreu“ 🙂 verlinkt ist. Ich bin sehr gespannt, was passieren wird – es ist mein erstes Mal… mit einer Blogparade… „new type of work“ sozusagen…
Ich finde das Leben mit Kindern sehr bereichernd, aus verschiedenen Gründen. Vom Schlafentzug und der Fremdbestimmung mal abgesehen, aber das wird ja mit der Zeit immer weniger. (Anmerkung: Es ist 4:45 Uhr und meine Tochter ist wegen eines Insekts in ihrem Zimmer lieber in mein Bett umgezogen…)
Was haben Kinder mit der neuen Arbeitswelt zu tun?
Die von mir sehr geschätzten Gründer von intrinsify.me Lars Vollmer und Mark Poppenborg verwenden in der Argumentation rund um die Führung von Mitarbeitern in der „alten Arbeitswelt“ gerne Worte wie „infantilisieren“ und rufen dazu auf, sie wie Erwachsene zu behandeln – in der neuen Arbeitswelt mit modernen Führungsmethoden. Ich bin davon oft irritiert, weil ich meine Kinder (natürlich auch Andere, aber meine im Besonderen 😉 ) für sehr klug halte. Manchmal habe ich den Eindruck, wir verdummen sie in der Erziehung und der Schule bewusst – wir sollten damit aufhören. Aber das ist ein anderes Thema. Der Vergleich von Lars und Mark hinkt in meinen Augen jedenfalls.
Was ich meine ist die grenzenlose Neugier mit unzähligen Warum-Fragen, auch gerne penetrant immer wieder dieselben, bis endlich eine klare und eindeutige Antwort kommt. Oder spontanes Ignorieren, wenn uninteressant ist, was man ihnen erzählt. Spiegeln von Ungereimtheiten, was zwangsläufig zur Selbstreflexion führt, wenn man als Gegenüber bereit ist, sich darauf einzulassen. Und natürlich die klare Botschaft, wenn einem etwas nicht passt – über gesellschaftliche Konventionen hinaus – sich trotzend und schreiend auf dem Boden zu wälzen. Ich glaube, wir können viel von den Kindern (wieder) lernen – allerdings doch lieber auf sozialverträgliche Art.
Was ist mein Anteil an der Wertschöpfung und wie erkläre ich das einem Kind?
Wenn es um Veränderungen in gewachsenen Unternehmen geht, kommt mir da so ein Gedanke. Ich höre und lese viel über „Wertschöpfung“. Da ich selbst aus einem internationalen Großkonzern „stamme“, sehe ich durchaus auch die Vorteile von Prozessen und Vereinheitlichungen. Allerdings fand ich es je nach Rolle schon schwierig, „meinen Anteil“ an der Wertschöpfung zu sehen – so zwischen den über 400.000 Kollegen. Natürlich habe ich irgendwie einen Sinn in dem gesehen, was ich gemacht habe, aber so richtig… und es gibt ja auch nichts, was man wirklich alleine macht. Tatsächlich war ich austauschbar – jemand anderes hätte meine jeweiligen Jobs sicher anders gestaltet, aber die Firma hätte nur ganz kurz gezuckt, wäre ich spontan ausgefallen. Schmerzhafte Erkenntnis, für das Überleben der Firma jedoch auch irgendwie wichtig.
Mir lief mal die Aufforderung über den Weg „Erklären Sie einem Kind ihren Job“. Eine Aufgabe für Führungskräfte… Und ich sollte mal ein paar Eindrücke aus meinem Job für die Kita-Gruppe meines Sohnes mitbringen. Die typischen Fotos waren dann: Ich am Laptop an einem kargen Schreibtisch im offen gestalteten Großraumbüro mit Headset am Ohr. Raten Sie jetzt bitte mal, was zu dem Zeitpunkt mein Job war. Na klar: Führungskräfteentwicklerin für den Technischen Support eines IT-Konzerns in Europa. 🙂 Wie bitte soll man sowas einem 5-jährigen erklären? Polizisten und Feuerwehrleute haben es da deutlich leichter…
„Erklären Sie einem Kind ihren Job“. Ich halte diese Frage für extrem wertvoll zur Selbstreflexion. Wenn man auch abstrahieren und seinen Job in handlichere Teile aufsplitten muss, dann kommt möglicherweise so etwas dabei heraus:
- Wie bei einem Ruderboot gibt es auch bei der Arbeit Menschen, die am Steuer stehen, und andere rudern. Die am Steuer heißen in der Firma Führungskräfte. Mein Job ist, den Führungskräften beim Lernen zu helfen. Jede Führungskraft hat andere Aufgaben und kann auch schon ganz viel. Ich muss herausfinden, was sie noch lernen wollen und müssen. Dann helfe ich ihnen, das zu bekommen, was sie brauchen.
- Um das machen zu können, muss ich mit den Leuten sprechen, die sich mit dem auskennen, was die Führungskräfte brauchen. Ich schreibe viel auf und benutze oft Bilder, damit ich die Sachen nicht vergesse. Diese Bilder benutze ich dann auch zum Erklären für die Führungskräfte. Manchmal frage ich auch jemand anderen, ob er oder sie das für die Führungskräfte erklären kann.
- Eigentlich telefoniere ich fast den ganzen Tag mit Menschen in Europa und Amerika.
Es hatte mich einige Zeit gekostet, das herauszukristallisieren. Als Denkarbeiter in einer so großen Organisation, fällt einem schwer, die eigene Wertschöpfung zu erkennen. In einem Produktionsbetrieb ist das vielleicht klarer. In einer kleineren Organisation wahrscheinlich auch. Da kommt bei mir die Frage auf, ob Führungskräfteentwicklung überhaupt wertschöpfend ist … Naja, ich habe das immer gehofft, So richtig messbar (wieder so ein „Unwort“) ist das bei Menschen mit 20-40 Jahren Berufserfahrung im internationalen Kontext und ihren Kundenbeziehungen zu anderen Großkonzernen irgendwie nicht mehr. Was ja auch immer ein Problem darstellte. Schließlich musste ich meine Daseinsberechtigung auch immer wieder rechtfertigen.
Ständiger Wandel, Digitalisierung, Virtualisierung und viele Innovationen – irgendwie bin ich doch schon in der neuen Arbeitswelt …
Was ich damit sagen will: Ich habe Schwierigkeiten mit einigen Ansätzen der neuen Arbeitswelt, weil deren Voraussetzungen nicht meinen persönlichen Erfahrungen im Unternehmen entsprechen – internationaler Großkonzern in der IT Industrie und im ständigen Wandel mit existierenden Kanälen für Innovationen. Über 100 Jahre alt – von der Schreibmaschine zu künstlicher Intelligenz. Natürlich seit über 25 Jahren digitalisiert, mindestens. Schließlich habe auch ich als Praktikantin bereits 1991 „gechatted“ – am „dummen“ Terminal (mit Großrechner verbundener Bildschirm) und ohne grafische Oberfläche. Mails gab es natürlich auch schon, hießen nur anders. An dieser Stelle kann ich nur den Videomitschnitt von Gunter Dueck von der re:publica 2017 empfehlen.
Als ich das „globally integrated enterprise“ verlassen habe, ging ich als wahrscheinlich einigermaßen gleichberechtigt bezahlte Frau in einer von Männern dominierten Welt, voll digitalisiert und virtualisiert (arbeiten mit Handy und Laptop egal wann und wo), mit Vertrauensarbeitszeit und ohne Präsenzpflicht.
… oder doch nicht?
Allerdings ging ich auch mit einem Kopf voll Prozessen, geführt mit Hilfe von individuellen, niemals erreichbaren Zielen; Bewertungen, Gehaltserhöhungen und Promotions, die nicht nachvollziehbar und eigentlich total „für die Hasen“ waren. Am besten, ich dachte darüber nicht nach, dann ging es mir und mit mir vielen anderen (auch meinen Mitarbeitern) besser. Man konnte es ja eh nicht ändern, „Don’t fight the system, play the system“. Menschsein war eher nicht en vogue, Zahlen, Daten, Fakten umso mehr.
Verglichen mit dem was andere kennen, würden einige das schon als „neue Arbeitswelt“ bezeichnen. Und doch glaube ich, dass es vielen Menschen in so einem Unternehmen viel besser gehen könnte und auch die Wertschöpfung sicher steigen würde, wenn die sinnlosen alten Strukturen identifiziert und irgendwie entfernt würden: Mehrfach-matrixorganisiert und mit Veränderungen, die meistens ein „mehr“ an Vorgaben bedeuten, US-Börsennotiert (was nochmal reichlich zusätzliche Auflagen mit sich bringt) ist das kein leichtes Unterfangen.
Verstärkt wird das noch durch die Tendenz, die Arbeit immer kleinteiliger zu gestalten, um sie möglichst kostengünstig irgendwo in Billiglohnländern verrichten zu lassen. Natürlich passen die realen Kundensituationen nie wirklich in die vorgezeichneten Prozesse und man muss sie irgendwie durch das Unternehmen navigieren. Das bleibt leider an den wenigen Menschen, die den ganzen Prozess im Blick haben, hängen – meistens in den Industrieländern – und schmerzt.
Was können uns die „guten alten Zeiten“ lehren?
Beim Sinnieren über die „guten alten Zeiten“ ist mir eingefallen, wann die Welt noch schön war. Auf hochdeutsch: als es noch nicht so tayloristisch war im IT Dienstleistungsgeschäft. Das war Ende der 1990er. Die Welt änderte sich damals in der Art, dass die Kunden nicht mehr nur Hardware und Software (-entwicklung) sondern auch Services wollten – und damit meine ich nicht nur den technischen Support (Aufbau, Wartung, Reparatur), sondern Systemintegration.
Damals war ich Angebotsmanager für IT-Dienstleistungsprojekte – für einmalige Projekte, individuell für den Kunden. Meine Aufgabe war, die modularen Prozesse auf die Situation zuzuschneiden, die richtigen Experten im Team zu haben, das Projektmanagement und das Lösen aller auftretenden Störungen, bis zu einem unterschriftsreifen Angebot für den Kunden. Das hat durchaus Wochen oder Monate gedauert. Damals hatten die Fachleute noch Lust und Zeit, sich um ein anständiges Angebot zu kümmern – unerreichbare Ziele auf „Utilization“ und „billable hours“ kamen erst später.
Jeder kann sinnlose und Energie-raubende Dinge in seinem Umfeld ändern
Plötzlich habe ich verstanden, dass wahrscheinlich jede Organisation – auch mein ehemaliger Arbeitgeber – einen weiteren möglichen Ansatz hat, „moderne“ Unternehmensführung umzusetzen. Jedes Unternehmen hat irgendwann neue Produkte oder Services entwickelt und auf den Markt gebracht. Wenn man jetzt nach Ansätzen sucht, wie sich die Organisation wieder entschlacken kann, kann man eine Mischung aus der Vergangenheit und der Kinderfrage wählen.
- Beschreiben Sie einem Kind Ihren Job (Aufschreiben bringt dabei mehr als nur zu denken, probieren Sie es aus!)
- Machen Sie eine Liste Ihrer Rollen, falls Sie mehrere einnehmen, und den entsprechenden Aktivitäten. Konzentrieren Sie sich dabei auf die aus Ihrer Sicht Wichtigsten, nach Aufwand (Zeit/Energie) und sinnvoll/sinnlos z.B. in Excel, auf Post-Its, auf einzelnen Blättern/Moderationskarten oder was immer für Sie der richtige Weg ist.
- Definieren Sie zu jeder Aktivität die Schnittstelle: Von wem bekomme ich was und wem stelle ich was zur Verfügung? (Kontaktperson/System und Input/Output)
- Die Warum-Frage stellen. „Weil wir das immer so machen“ gilt nicht… Wofür mache ich das? Gibt es konkrete Notwendigkeiten? Wer kann diese Frage beantworten? Wer kann im Zweifel helfen, diese Frage an der richtigen Stelle zu adressieren? Gibt es überhaupt eine Notwendigkeit von außen oder machen Sie das, weil Sie es wichtig finden? => Übrigens hat Simon Sinek mit seinem „The Golden Circle“ auch die Frage nach dem „Why“ ins Zentrum gestellt. Weniger zur Erklärung sondern eher zum Verstehen und Kommunizieren des eigenen Antriebs – letztlich dem Zweck des eigenen Schaffens. Weitere Infos dazu gibt es hier.
- Kern der Aufgaben herausarbeiten (Sinn, Zweck) – Wie wurde das früher, also vor der Einführung der Standardprozesse gemacht? Erfahrene Kollegen, die Pioniere vor! 😉 Sprechen Sie aktiv Kollegen an und bitten Sie sie um Geschichten aus der Vergangenheit. An konkreten Beispielen lässt sich der Spirit meistens am besten erkennen. Was waren damals die Erfolgsfaktoren, die entscheidenden Situationen?
- Stellen Sie die Dinge, die gemacht werden müssen, auf den Prüfstand (z.B. Reports, Kennzahlen) mit einer Skala von eins bis zehn jeweils für die Zeit/Energie, die Sie dafür aufbringen müssen und dem Grad der Sinnlosigkeit. Sie können das auch an einer Wand mit Post-Its visualisieren (z.B. 2×2 Matrix) oder mit Papier/Moderationskarten auf dem Boden arbeiten. Was Ihnen liegt. (TIPP: Speichern bzw. Fotografieren)
- Priorisieren Sie: Was ist das aufwändigste und gleichzeitig sinnloseste Thema?
- Gehen Sie kleine Schritte. Nehmen Sie sich erstmal nur diese eine Sache vor: Fragen Sie wie ein nerviges Kind immer wieder „Warum?“ Gehen Sie dem auf den Grund, ob das noch so gebraucht wird. Wahrscheinlich müssen Sie mit vielen Menschen reden, die überrascht und mit Gegenwehr reagieren. Geben Sie denen die Zeit und die Chance Ihre Gedanken nachzuvollziehen. Vielleicht hilft Ihnen dabei das Abstrahieren – worum geht es denn überhaupt, welche Informationen sind wirklich relevant?
- Was macht man dann damit? Das hängt davon ab. Meistens ist der Dialog über die einzelnen Themen schon so wertvoll und es ergibt sich eine Lösung. Vielleicht kann das auch anders und mit weniger Aufwand gehandhabt werden? Ansonsten können Sie hier auch die jungen, frischen, noch nicht „assimilierten“ oder querdenkenden Kollegen fragen… 😉
Verhalten Sie sich doch selber wie ein Kind und blödeln mit Ihren Kollegen herum
Wenn Sie das einrichten können, nutzen Sie doch die Kompetenz eines Kindes. Möglicherweise können Sie sich auch eins „ausleihen“, falls Sie keine eigenen in der von Ihnen gewünschten Altersklasse haben. Oder Sie stellen sich vor, sie wären selbst ein Kind. Vielleicht können Sie auch Kollegen (aus anderen Bereichen) gewinnen und Sie blödeln mal ein bisschen gemeinsam dazu rum. Das macht Spaß und bringt Leichtigkeit in die Diskussion. Sie können das Thema auch als ganzes Team angehen.
Das kann jeder: Einfach machen!
Dieser ganze Ansatz hat übrigens auch den Charme, dass das jeder sofort tun kann. Jede und jeder einzelne. Sie können also sofort damit anfangen und brauchen nicht auf „die da oben“, „die da unten“ oder auf sonstwen warten. Einfach machen!
Natürlich können Sie auch den Spieß umdrehen und die für Sie sinnvollste Aktivität herausgreifen, sich darauf konzentrieren und das ohne große Auseinandersetzung jeden Tag höher priorisieren. Das ist eine andere Herangehensweise und soll zu einem anderen Zeitpunkt beschrieben werden.
Wenn Sie gerne mit mir gemeinsam herausfinden wollen, was Ihre Rollen, Aktivitäten und Ihre diesbezüglichen nächsten Schritte sind, melden Sie sich gerne bei mir für ein unverbindliches Gespräch zum Kennenlernen. Ich begleite Sie gerne als Business Coach bzw. Experte.
So, das war mein Beitrag für die Blogparade. Wie immer freue ich mich auf die konstruktive und wertschätzende Diskussion auf dem nächsten intrinsify.me Wevent, diesmal im Stuttgarter Raum in Steinheim an der Murr am 1. und 2. Juli 2017. Ich bin ganz gespannt auf die anderen eingereichten Blogartikel und die sich daraus ergebenden Themen und Perspektiven. Wer wird noch dabei sein?